„Entwicklungsprojekte soll­ten sich immer ‚in due time‘ über­flüs­sig machen.“

 

Martin Fuhrer ist ein Experte für Entwicklungszusammenarbeit und huma­ni­tä­re Dienste. Während meh­re­ren Jahren lei­te­te er die Abteilung Internationale Zusammenarbeit des SRK und war Mitglied des Stiftungsrates der Glückskette. Seit drei Jahren enga­giert er sich auch für die Ernst Peyer Stiftung und unter­stützt uns mit sei­nem über Jahrzehnte erwor­be­nen Wissen.

Martin Fuhrer, meh­re­re Jahrzehnte lang haben Sie beim Roten Kreuz huma­ni­tä­re Einsätze geleis­tet und sich in der Entwicklungszusammenarbeit enga­giert. Was war Ihre Motivation für die­ses Engagement?
Seit mei­ner Jugendzeit hat­te ich das Ideal einer gerech­te­ren und fried­li­che­ren Welt und den Wunsch, mich auf Augenhöhe mit Menschen aus ande­ren Kulturen aus­zu­tau­schen. Anfangs, und bedingt durch mei­ne Jahre beim IKRK, stan­den Kriegs- und Konfliktopfer im Zentrum. Später folg­ten die Bewohnerinnen und Bewohner der ärms­ten Länder die­ser Welt. Dabei wuchs mei­ne Überzeugung, dass Gesundheitsversorgung, Wasserversorgung, Bildung und Arbeit sowie Menschenrechte die Grundpfeiler für ein men­schen­wür­di­ges Dasein sind.

Als Mitglied des Patronatskomitees unter­stüt­zen Sie die Ernst Peyer Stiftung, wel­che  vor allem Trinkwasser- und Hygieneprojekte in Ghana för­dert. Wie schät­zen Sie die Nachhaltigkeit und Wirkung der Projekte einer so klei­nen Organisation ein?
Die glo­ba­le Wirkung ist ver­nach­läs­sig­bar, doch auf regio­na­ler und loka­ler Ebene kön­nen Kleinprojekte im Leben der betrof­fe­nen Bevölkerung einen gros­sen Unterschied machen. Diese Projekte dür­fen jedoch nicht iso­liert durch­ge­führt wer­den. Sie müs­sen sinn­voll ein­ge­bet­tet sein in die loka­len Strukturen, in die bestehen­den, oft auch man­gel­haf­ten Dienstleistungen. Wichtig ist auch, dass inter­na­tio­na­le Standards im jewei­li­gen Fachbereich zur Anwendung kom­men. Als Beispiel möch­te ich die WASH (Water, Sanitation, Hygiene)-Erfahrungen und Standards nen­nen. Hierbei gilt es, vor Ort mit ande­ren klei­nen und gros­sen, natio­na­len und inter­na­tio­na­len Organisationen zusam­men­zu­ar­bei­ten, sich aus­zu­tau­schen und Projekte zu koor­di­nie­ren.

Was ist Ihre Motivation, sich über das Pensionsalter hin­aus für huma­ni­tä­re Projekte zu enga­gie­ren?Meine fes­te Überzeugung, dass es für nach­hal­ti­ge Resultate in der inter­na­tio­na­len Zusammenarbeit wei­ter­hin gros­se Anstrengungen braucht. Diese Anstrengungen machen nicht nur Sinn, sie sind wich­tig und rich­tig. Auch bin ich der Meinung, dass die Schweiz ihre etwas ram­po­nier­te huma­ni­tä­re Tradition wie­der inten­si­vie­ren soll­te. Und dann gibt es auch ego­is­ti­sche Gründe: Es freut mich, mei­ne über die Jahre ange­sam­mel­ten Erfahrungen wei­ter­zu­ge­ben und über mein Engagement für die huma­ni­tä­re Arbeit immer wie­der hoch­mo­ti­vier­ten und inter­es­san­ten Menschen zu begeg­nen. Menschen, die dem Ideal nach­le­ben, die gros­sen sozia­len Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten zu bekämp­fen.  

Die Wirkung, der Sinn und der Nutzen von staat­li­cher Entwicklungszusammenarbeit wer­den auch in Bundesbern immer wie­der hef­tig dis­ku­tiert. Wie den­ken Sie dar­über?
Wenn es dar­um geht, die Resultate der Entwicklungszusammenarbeit lau­fend kri­tisch zu begut­ach­ten, ist das posi­tiv und not­wen­dig. Wenn es dar­um geht, so oder so die Entwicklungszusammenarbeit zu dis­kre­di­tie­ren, weil sie nicht ins betref­fen­de poli­ti­sche Konzept passt, so fin­de ich dies bil­lig. Die dau­ern­de grund­le­gen­de Infragestellung der inter­na­tio­na­len Zusammenarbeit hat auch dazu geführt, dass zu viel Energie auf Berichterstattungen, Legitimationen und Rechenschaftsablagen ver­wen­det wur­de. Es ent­stand ein ener­gie- und geld­fres­sen­der büro­kra­ti­scher Überbau, der unver­hält­nis­mäs­sig ist. Kleine Hilfswerke, die dank viel Freiwilligenarbeit direk­te Hilfe leis­ten, sind dies­be­züg­lich im Vorteil. 

Die „huma­ni­tä­re Schweiz“ setzt sich aus zahl­rei­chen gros­sen und klei­nen Akteuren mit ganz unter­schied­li­cher Motivation und Hintergrund zusam­men: Glückskette, Hilfswerke, Rotes Kreuz, Kirchen, Unternehmen der Privatwirtschaft. Ist die­se Vielfalt sinn­voll? Und funk­tio­niert die Zusammenarbeit und Koordination zum Nutzen von effi­zi­en­ter und kohä­ren­ter Hilfe aus der Schweiz?
Ja, die Diversität ist enorm. Koordinations- und Zusammenarbeitsbemühungen sind sehr wich­tig, aber auch auf­wen­dig und oft­mals ver­bes­se­rungs­wür­dig. Eine DEZA oder die Glückskette spie­len dabei eine wich­ti­ge Rolle. Denn Interessenskonflikte, ideo­lo­gi­sche Unterschiede, der Kampf um Spenden und Scheuklappen aller Art erschwe­ren den Austausch zwi­schen den ver­schie­de­nen Akteuren. Folglich hat die Netzwerkarbeit in den letz­ten Jahren klar zuge­nom­men. Einzeln kam es auch zu Fusionen von inhalt­lich ver­wand­ten Hilfswerken.

Viele afri­ka­ni­sche Länder lei­den unter Misswirtschaft und Korruption der Elite. Wieso macht ein Engagement zuguns­ten von armen und per­spek­ti­ven­lo­sen Bevölkerungsgruppen trotz­dem Sinn?
Ein Engagement macht Sinn, weil gera­de klei­ne Hilfswerke wie die Ernst Peyer Stiftung direkt mit der betrof­fe­nen Bevölkerung zusam­men­ar­bei­ten kön­nen. Die Resultate sind so direkt sicht­bar, es braucht kei­nen Umweg über Ministerien, Gesundheitsbehörden etc. Gleichzeitig müs­sen die poli­ti­schen, wirt­schaft­li­chen und sozia­len Rahmenbedingungen dau­ernd ana­ly­siert wer­den. Es gibt Extremsituationen, in denen auch direk­te Projektarbeit vor Ort nicht mehr sinn­voll oder nicht mehr mög­lich ist. Diesbezüglich müs­sen wir in Afrika klar dif­fe­ren­zie­ren. Es gibt vie­le Länder mit ver­ant­wor­tungs­vol­len Regierungen, die ein gutes Potenzial haben, und dann gibt es auch Krisenländer mit kor­rup­ti­ons­an­fäl­li­gen Regierungen. 

Hilfsprogramme kön­nen auch Abhängigkeit statt Selbstständigkeit her­vor­ru­fen. Dann näm­lich, wenn Staaten ihre Mittel ver­mehrt für den Machterhalt und die Verteidigung ein­set­zen und sich für die sozia­le Entwicklung oder die Bildung auf inter­na­tio­na­le Hilfe ver­las­sen. Wie kön­nen wir das ver­hin­dern?
Indem wir uns dau­ernd fra­gen, wie und durch wen könn­te unse­re Hilfe instru­men­ta­li­siert wer­den? Indem wir unse­ren Beitrag in ein grös­se­res Ganzes stel­len, mit allen for­mel­len und infor­mel­len Machtstrukturen. Indem wir eine ratio­na­le Risikoanalyse vor­neh­men: Wo hel­fen wir, inwie­fern sind wir Alibi für eine inak­ti­ve regio­na­le oder natio­na­le Regierung? Wichtig ist auch, bei jedem Projekt eine Exitstrategie zu defi­nie­ren. Dies beschreibt, wann das Projekt in die Selbstständigkeit ent­las­sen wird und mit wel­chen Prozessen und Dynamiken ein Projekt der loka­len Bevölkerung über­ge­ben wird. Das Ziel jeg­li­cher Anstrengungen der Entwicklungszusammenarbeit soll sein, sich sel­ber „in due time“ über­flüs­sig zu machen.

Oft wür­den gerech­te­re Handelsbeziehungen mehr bewir­ken als die Bemühungen der Entwicklungszusammenarbeit. Das eine soll jedoch nicht gegen das ande­re aus­ge­spielt wer­den. Sowohl die Entwicklungszusammenarbeit als auch gerech­te­re inter­na­tio­na­le Handelsverträge sind not­wen­dig, für eine bes­se­re und fried­li­che­re Welt.

Martin Fuhrer herz­li­chen Dank für die­ses Interview und Ihr Engagement für unse­re Stiftung. 
Interview: Judith Bachmann