Ernst Peyer: mein Grossvater und Menschenfreund

Ernst Peyer auf Besuch bei den Dorfbewohnern Ghanas

Mein Grossvater Ernst Peyer war eine wich­ti­ge Bezugsperson für mei­nen Bruder und mich. Bis heu­te habe ich zahl­rei­che glück­li­che Kindheitserinnerungen an ihn. Und alle sind geprägt von sei­ner unglaub­li­chen Grosszügigkeit und Wärme für die Menschen.

Tagtäglich schaff­te er es, eine gros­se Anzahl Menschen unter­schied­lichs­ter Herkunft, mit unter­schied­li­chem Ausbildungsgrad und aus ver­schie­de­nen Generationen zusam­men­zu­brin­gen, und för­der­te so einen regen inter­kul­tu­rel­len Austausch. Sein Haus stand immer für alle offen. Selbst als er nicht mehr gut zu Fuss war, spa­zier­te er ger­ne durch die Gegend und such­te die Begegnung mit Menschen.

Neben uns als sei­nen Enkeln pfleg­te er eine beson­de­re Beziehung zu sei­nen Schützlingen aus Ghana, die nach sei­ner Rückkehr in die Schweiz jeweils wäh­rend zwei Jahren bei ihm und sei­ner Frau woh­nen durf­ten. In die­ser Zeit absol­vier­ten sie eine ver­kürz­te Lehre als Elektriker oder Automechaniker. Ziel war es, dass sie ihr Wissen nach der Rückkehr an die Menschen in Ghana wei­ter­ge­ben.

Mein Grossvater hat­te immer auch etwas Schalk im Nacken. So erin­ne­re ich mich, wie ich ihn als etwa Zehnjährige dar­auf auf­merk­sam mach­te, dass er zwei unter­schied­li­che Socken tra­ge. Ich dach­te, er hät­te das gemacht, um bei mir Aufmerksamkeit zu erre­gen. Als ich ihn dar­auf ansprach, erklär­te er: „Weisst du Julia, es gibt vie­le Menschen, die haben über­haupt kei­ne Socken und frie­ren an ihre Füssen. Deshalb ist es ganz egal, wenn die bei­den Socken nicht zusam­men­pas­sen. Sie pas­sen an mei­ne Füssen, und das ist genug.“

Während der Jahre an den unter­schied­lichs­ten Orten in Ghana war mein Grossvater stets sehr natur­ver­bun­den. Dafür sen­si­bi­li­siert hat ihn sicher­lich auch sei­ne Ehefrau, eine pas­sio­nier­te Gärtnerin. Die gros­sen üppi­gen Avocadobäume hat­ten es ihm beson­ders ange­tan. Zurück in der Schweiz züch­te­te er über vie­le Jahre klei­ne Exemplare in sei­nem Zuhause in Zürich. Diese tru­gen zwar kei­ne Früchte, trotz­dem ver­brei­te­ten sie ein tro­pi­sches Ambiente. Mir zeig­te er, wie man aus einem Avocadokern mit­hil­fe von zwei Zahnstochern, einem Joghurtglas und Wasser einen klei­nen Baum zieht.

In sei­ner Wohnung stan­den immer min­des­tens ein Dutzend Avocadobäumchen in allen Stadien. Wenn ich ihm half, das Wasser der Keimlinge aus­zu­wech­seln oder die­se ein­zu­top­fen, sag­te er: „Das sind mei­ne Kinder, jedes braucht Wasser und Liebe.“

von Dr. Julia Peyer 

Ernst Peyer wur­de 1906 in St. Gallen gebo­ren. Von 1959 bis 1971 leb­te er mit sei­ner Frau in Ghana. Hier wirk­te er als Pfarrer und enga­gier­te sich für den Bau von Schulen und Spitälern. Bei der gha­nai­schen Bevölkerung erreich­te er eine hohe Akzeptanz und Respekt. Mit sei­ner Pensionierung im Jahr 1971 kehr­te er in die Schweiz zurück.