Interview mit Remo Gysin

 

Der bekannte Politiker Remo Gysin engagiert sich für die Ernst Peyer Stiftung. Lesen Sie im Interview, wieso er sich für die Ärmsten einsetzt und wo er die Probleme in der Entwicklungsarbeit sieht.

 

 

 

 

 

 

 

 

Remo Gysin, seit drei Jahren engagieren Sie sich für die Ernst Peyer Stiftung. Was ist Ihre Motivation, sich für die Ärmsten in Ghana einzusetzen?
Die Bekämpfung der Armut war mein Hauptgrund, Politiker zu werden. Europa, auch die Schweiz, haben Afrika viel Leid gebracht. Wiedergutmachung ist nicht möglich; ein Zeichen der Solidarität zu setzen und etwas zu mehr Gerechtigkeit beizutragen, schon. Es hätte auch ein anderes Land sein können. Aber Ziele, Schwerpunkte, Organisation und Arbeitsweise haben mich zur Ernst Peyer Stiftung und hiermit nach Ghana geführt. Hannes Heinimann hat mir die Tür geöffnet.

Als kleine Organisation unterstützt die Ernst Peyer Stiftung Trinkwasser- und Hygieneprojekte in Ghana. Wie schätzen Sie deren Nachhaltigkeit und Wirkung ein?
Die Konzentration auf eher kleinere Projekte im Bereich der Grundbedürfnisse und Gesundheit in abgelegenen Regionen Ghanas, verbunden mit einem Ansatz zur Selbsthilfe schafft m.E. insgesamt eine gute Voraussetzung zur nachhaltigen Entwicklung. Auch wenn es im einen oder andern Projekt harzt. Das gehört zu Veränderungen und Lernprozessen.

Die Wirkung, der Sinn und Nutzen von Entwicklungszusammenarbeit wird auch in Bundesbern immer wieder heftig diskutiert. Wie denken Sie darüber?
Das Spannungsfeld ist gross. Ich habe von der DEZA unterstützte Projekte z.B. in Mali und Niger kennengelernt, die ohne Zweifel nachhaltig sind. Wenn es hingegen mehr um die Interessen der Schweiz und ihrer Konzerne als um die notleidende Bevölkerung geht, befinden wir uns auf einem falschen Weg. In der Privatisierung von Wasserquellen, einseitigen Handelsverträgen und Begünstigungen reicher örtlicher Personen sehe ich jedenfalls keine sinnvolle Entwicklungsarbeit. Die Konzentration auf Menschenrechte, ein klares Bekenntnis zur UNO-Agenda 2030 und die Annahme der Konzern-Initiative wären hingegen gute Voraussetzungen für eine kohärente schweizerische Entwicklungszusammenarbeit.

Viele afrikanische Länder leiden unter Misswirtschaft und Korruption der Elite. Wieso macht ein Engagement zugunsten von armen und perspektivenlosen Bevölkerungsgruppen trotzdem Sinn?Isabel dos Santos, die Tochter des angolanischen Ex-Präsidenten, und andere lassen grüssen. Solange es Notlagen und sinnvolle Ansätze gibt, machen Unterstützung und Zusammenarbeit Sinn. Die Unterstützung sollte direkt und ohne Umwege über korrupte Stellen und Personen zur Bevölkerung gelangen. Dies gelingt eher über kleinere Projekte.

Hilfsprogramme können auch Abhängigkeit statt Selbstständigkeit hervorrufen. Dann nämlich, wenn Staaten ihre Mittel vermehrt für den Machterhalt und die Verteidigung einsetzen und sich für die soziale Entwicklung oder die Bildung auf Hilfsorganisationen verlassen. Wie können wir das verhindern?
Auch für Afrika gilt das Ziel, auf eigenen Füssen zu stehen. Zur Zusammenarbeit gehört das kritische Hinterfragen der eigenen Rolle. Wen und was unterstützen wir als Hilfswerk? Was wollen wir kurz- und längerfristig erreichen? Was erreichen wir tatsächlich? Dazu sind auch die staatlichen Rahmenbedingungen im Projektland zu analysieren. Stehen diese einer nachhaltigen Entwicklung im Wege, sollten Hilfsorganisationen auch den Mut haben, dies zu kritisieren und Projekte zu stoppen.

Oder wäre Afrika mit faireren Handelsbeziehungen gar besser geholfen als mit humanitärer Hilfe? ((Anmerkung zur Frage: Geflügelexporte aus EU-Staaten nach Ghana, welche für die lokalen Geflügel-Produzenten existenzbedrohend sind. Oder faire Preise für Kakao-Exporte aus Ghana in die Länder des Nordens.)
Es braucht beides. Humanitäre Hilfe ist oft eine Überlebensfrage. Die Schwierigkeit ist die Kohärenz der Zusammenarbeit. Eine Anforderung, die weder die internationale noch die schweizerische Aussenpolitik (inkl. Aussenwirtschaftspolitik und Friedenspolitik) erfüllen. Leider werden in Unternehmen und auch im Bundeshaus immer wieder wirtschaftliche Interessen über Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutz gestellt. In diesem Sinne hat auch die Schweiz Entwicklungsbedarf.

Remo Gysin, herzlichen Dank für dieses Interview und Ihr Engagement für unsere Stiftung.
Interview: Judith Bachmann

 

Remo Gysin studierte Volks- und Betriebswirtschaft an der Universität Basel und ist promovierter Nationalökonom. Während 24 Jahren war er aktiver Politiker: von 1984 bis 1992 Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt und von 1995 bis 2007 Nationalrat. Aktuell ist er Präsident der Auslandschweizer-Organisation (ASO). Ehrenamtlich war Gysin in mehreren Leitungsgremien der Entwicklungszusammenarbeit tätig (Swissaid, Solifonds, Stiftung Global-Lokal, Gesellschaft für bedrohte Völker).