Zwei Stiftungsräte berichten von ihrer Reise in den Norden von Ghana
Im Kreise der Dorfgemeinschaft: Jürg Frei und Hans Peter Willi zusammen mit Franz Zemp (re.), unserem Vertreter vor Ort
Seit 2022 engagieren sich Hans Peter Willi und Jürg Frei als Stiftungsräte der Ernst Peyer Stiftung. Für diese Arbeit bringen sie ihr grosses Wissen aus ihrer Zeit als Bauingenieur beim Bundesamt für Umwelt und als ehemaliger Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes ein. Soeben sind sie von ihrer ersten Projektreise nach Ghana zurückgekehrt. Im Interview geben sie Einblicke in ihre Erlebnisse und Eindrücke. Und sie erzählen, wieso sie sich für die Ärmsten in Ghana engagieren.
Hans Peter und Jürg, wie habt ihr die Reise erlebt, welche Eindrücke habt ihr mit in die Schweiz genommen?
Hans Peter: Während unserer zehntägigen Reise hatten wir die Gelegenheit, den Norden von Ghana, die Menschen und deren Lebenssituation kennenzulernen, Gespräche mit Projektpartnern und Behörden zu führen und nächste Schritte für laufende Projekte einzuleiten. Dafür haben wir die Bauernkooperative «Bongo-Farmers», zwei Schulen und auch entlegene Dörfer besucht. Bei all unseren Begegnungen haben mich die direkt betroffenen Menschen besonders beeindruckt. Trotz grosser Armut strahlen sie eine grosse Lebensfreude aus. Und wir haben erlebt und erfahren, wie wichtig und wertvoll die Ernst Peyer Stiftung für die notleidenden Menschen ist. Die Stiftung ist eine Anlaufstelle für all jene Direktbetroffenen, die mit kleinen und grösseren Projekt eine Verbesserung innerhalb einer Dorfgemeinschaft oder einer Schule bewirken wollen. Das hat uns beide sehr beeindruckt.
Jürg: Wo immer wir auftauchten, wurden unser Besuch und die Zeit, die wir uns dafür nahmen, sehr geschätzt. Dass wir selbst in die entlegensten Gegenden reisten und dabei waren, wie ein Dorfbrunnen nach einem viermonatigen Defekt endlich repariert wurde, verdankten uns die rund 100 anwesenden Personen mit einem spontanen Tanz. Eine Schule, die auch Kinder mit einer Beeinträchtigung unterrichtet, empfing uns mit einem beeindruckenden Theater rund um Inklusion und Integration.
«Der Klimawandel hat das Leben der Menschen weiter verschlechtert. Viele Bauernfamilien sind so arm, dass sie meist ihre ganze Ernte verkaufen.» Jürg Frei
Wie habt ihr die Lebenssituation der Menschen erlebt?
Jürg: Sehr schwierig. Der Klimawandel hat das Leben der Menschen weiter verschlechtert. Viele Bauernfamilien sind so arm, dass sie meist ihre ganze Ernte verkaufen, statt Maniok und andere Nahrungsmittel für den Eigengebrauch während der Trockenzeit zu behalten. In der Folge sind immer öfter Frauen gezwungen, während Monaten im reicheren Süden als Erntehelferinnen zu arbeiten. Aber diese Frauen fehlen zu Hause in der Familie und auf dem Feld.
Was hat euch besonders beeindruckt?
Jürg: Die rund 40 Bauernfamilien, die sich für das Projekt «Bongo-Farmers» zusammengeschlossen haben. Gemeinsam begegnen sie dem Klimawandel: mit neuen Anbaumethoden und Pflanzen, Terrassierungen und anderen Schutzmassnahmen gegen Bodenerosion. Auf ihrer Trainingsfarm packen sie gemeinsam an, bewirtschaften die Felder und lernen Neues rund um eine nachhaltige und ökologische Landwirtschaft. Wissen, das sie auf den eigenen Feldern auch anwenden und so ihren Familien eine bessere Ernte ermöglichen. Für ihre Mitarbeit auf der Trainingsfarm erhalten sie pro Tag eine kleine Verpflegung. Essen, das für einzelne Familien überlebenswichtig ist.
Hans Peter: Das Projekt haben sie selbst initiiert und mit der Unterstützung unserer Stiftung realisiert. Aktuell planen die Bauernfamilien, ein zwei Hektare grosses Feld während der Trockenzeit zu bewässern, um so die Ernährungssituation der einzelnen Familien zu verbessern. Den Projektantrag werden wir bald erhalten und gerne prüfen.
Schockiert hat uns die Hygienesituation an einer Schule mit über 250 Schülerinnen und Schülern. Die Jugendlichen leben auf einem riesigen Campus mit lediglich einem Brunnen, ohne funktionierende Toiletten und ohne eigentliche Küche. Der Wasseranschluss an die Gebäude fehlt seit Jahren. Hier gibt es noch viel zu tun – gemeinsam mit den Betroffenen und unserem lokalen Partner wollen wir aber langfristige Verbesserungen bewirken. Nächste Schritte haben wir mit unserem Projektleiter vor Ort direkt in die Wege geleitet. So wurde seit unserem Besuch der WASH-Club (WASH Wasser, Sanitätsversorgung und Hygiene) bestehend aus Jugendlichen und Schulverantwortlichen gegründet. Diese werden demnächst eine andere am Projekt beteiligte Schule besuchen, wo die Hygienesituation um ein Vielfaches besser ist. Weiter haben wir eingefordert, dass noch diesen Monat ein Workshop für den Bau einfacher Händewaschstationen (Tipi-Taps) durchführt wird. Denn bis die Wasseranschlüsse gelegt und die nötige Infrastruktur funktioniert, wird es noch länger dauern.
Jürg, als ehemaliger Mitarbeiter des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes bist du ein Experte für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe. Wie schätzt du die Wirkung unserer vergleichsweise kleinen Projekte ein?
Ich sehe die Projekte kleiner Organisationen wie jene der Ernst Peyer Stiftung als kleine Juwelen der Entwicklungszusammenarbeit. Die Projektpartner beschäftigen sich über einen längeren Zeitraum und im direkten Austausch mit den Betroffenen mit dem Problem einer Dorfgemeinschaft oder einer Schule. Gemeinsam werden Brunnen repariert, Wasserkomitees ausgebildet und Hygienemassnahmen an Schulen eingeführt. Dafür bedarf es Zeit und viel gegenseitiges Verständnis. Etwas das grossen Organisationen meist fehlen. Als kleine Organisation gelingt es uns so, im Kleinen Grosses zu bewirken. Dabei sollen die Menschen lernen, einen defekten Brunnen oder eine desolate Hygienesituation nicht einfach hinzunehmen. Stattdessen sollen sie eine Verbesserung einfordern und mit Eigeninitiative selbst etwas bewirken.
Hans Peter, während vieler Jahre hast du die Abteilung Gefahrenprävention beim Bundesamt für Umwelt geleitet. Dabei hast du dich immer auch mit Wasser beschäftigt. Gibt es Parallelen zu deiner ehemaligen Arbeit und deinem heutigen Engagement für die Ärmsten im Norden von Ghana?
Da gibt es viele. Und wie ich jeweils sage, bin ich mit allen Wassern gewaschen (lacht). Von Trink- über Abwasser bis hin zu Hochwasser habe ich Erfahrung in allen Bereichen. Wasser fasziniert mich seit vielen Jahren und war auch der Grund, weshalb ich Bauingenieur studiert habe. Egal ob in Afrika oder Europa, Wasser ist die Grundvoraussetzung für das Leben. Dass ich nun mein Wissen rund um das ganzheitliche Handeln mit Wasser für die Ernst Peyer Stiftung einbringen kann, freut mich sehr.
Jürg, mit Pronet North habt ihr unseren neuen Umsetzungspartner vor Ort kennengelernt. Wie schätzt du diese Zusammenarbeit ein und was ist bei der Entwicklungszusammenarbeit mit lokalen Organisationen besonders wichtig?
Eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit lokalen Partnern sehe ich als wichtigen Teil des Erfolgs der Ernst Peyer Stiftung. Mit Water Vision Technology haben wir seit vielen Jahren einen verlässlichen und bei der Bevölkerung geschätzten Partner. Jetzt kommt Pronet North dazu. Sie haben schon mit UNICEF und anderen grossen Organisationen gearbeitet und Erfahrungen gesammelt. Die Zusammenarbeit mit uns als kleiner Organisation haben sie bewusst gesucht, um über unser Wissen und unsere Projekterfahrung Neues kennenzulernen und sich weiterzuentwickeln. Dieser Ansatz gefällt uns sehr und wir sehen es als grosse Chance für alle Projekte, die Pronet North in Zukunft realisieren wird. Es ist unser Ziel, auch mit ihnen eine respektvolle und partnerschaftliche Zusammenarbeit aufzubauen. Denn: Alles was uns gemeinsam gelingt, führt zu einer Verbesserung.
«Mit meinem Engagement will ich die Ärmsten in Ghana motivieren und befähigen, ihre Perspektiven zu verbessern und darüber das Selbstvertrauen junger Ghanaerinnen und Ghanaern zu stärken.» Hans Peter Willi
Gibt es ein persönliches Ziel, das ihr über euer Engagement für die Ernst Peyer Stiftung erreichen wollt?
Hans Peter: Ich habe den grossen Wunsch nach einer besseren Welt. Dass ich dazu im Kleinen als Stiftungsrat der Ernst Peyer Stiftung einen Beitrag leisten kann, motiviert mich sehr. Mit meinem Engagement will ich die Ärmsten in Ghana motivieren und befähigen, ihre Perspektiven zu verbessern und darüber das Selbstvertrauen junger Ghanaerinnen und Ghanaern zu stärken.
Jürg: Ich möchte eine Brücke bauen zwischen der Schweiz und Afrika. Nur wenige Menschen kennen diesen Kontinent wirklich. Folglich haben sehr viele Schweizerinnen und Schweizer bis heute ein sehr pauschales und wenig differenziertes Bild von Afrika. Ich möchte beitragen, dieses Bild etwas zu korrigieren und aufzeigen, wie vielfältig dieser grosse Kontinent tatsächlich ist und wie viel Positives und Bemerkenswertes es dort zu erleben gibt, trotz aller Krisen und Katastrophen.
Das Interview führte Judith Bachmann.